Porträt
02. November 2023
Bitpanda: Der Kaiser sitzt in Wien
In einem konsolidierenden Markt will Bitpanda zum Broker der Banken werden und den europäischen Krypto-Handel dominieren.
Credits: Jannis Hunger
Nur Verlierer konkurrieren. Unter diesem Titel hält Peter Thiel 2014 eine Vorlesung an der Stanford Universität über Strategie und Monopoltheorie für Startups.(1)
Die Kernaussage: Alle erfolglosen Startups sind einander ähnlich; sie greifen einen zu großen Markt an und scheitern dann an der Konkurrenz. Erfolgreiche Startups dagegen sind alle einzigartig. Sie fokussieren sich auf eine kleine Nische, die sie von Anfang an dominieren können - und in der sie keine Konkurrenz haben. Von da aus breiten sie sich solange horizontal und vertikal aus, bis ein “vertikal integriertes komplexes Monopol” entsteht - mit hohen Margen und geringen externen Abhängigkeiten.
Ob wissend um diesen Insight oder nicht - die Gründer von Bitpanda haben ein solches Unternehmen aufgebaut. Bitpandas Nische? Bitcoin in Österreich kaufbar machen - in einer Zeit, als Investoren Krypto mit der Kneifzange nicht anfassen und andere Gründer lieber Social Apps bauen wollten.
Mittlerweile deckt Bitpanda halb Europa ab, ist regulatorisch exzellent aufgestellt, bietet neben Kryptowährungen viele weitere Anlageklassen an und verkauft die eigene Infrastruktur an Fintechs und Geschäftsbanken.
In Krypto zu operieren, heißt aber auch in Zyklen zu operieren. Im letzten Jahr drehte sich der Markt. Seitdem herrscht Kryptowinter. Bitpandas Umsatz brach um über 80% ein und anstelle eines satten Gewinns endete das Geschäftsjahr 2022 mit einem Verlust von über 100 Millionen Euro. Sorgen muss man sich deswegen nicht um Bitpanda machen. Blickt man tiefer ins Unternehmen, erkennt man, dass Bitpanda nie besser aufgestellt war, um vom nächsten Krypto-Zyklus zu profitieren.
In unserem heutigen Deep Dive analysieren wir die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Europas größtem Krypto-Broker:
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Entstehung. Wie die Gründungsgeschichte das Unternehmen bis heute prägt.
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Experimente. Wie Bitpanda Europas erfolgreichsten IEO hinlegt.
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Der Weg zum Einhorn. Wie Bitpanda aus der Nische ausbricht und von Bootstrapping auf Hypergrowth umschaltet.
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Restrukturierung. Warum die Party ein abruptes Ende findet und das Unternehmen am Ende trotzdem den größten Meilenstein seiner Geschichte feiern kann.
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Ausblick. Mit welcher Strategie Bitpanda nun skalieren will und in welche Märkte als nächstes vorgedrungen werden könnte.
Die Entstehung: Pragmatisch Profitabel
Am Anfang von Bitpanda steht das Pokern. Paul Klanschek finanziert sich 2010 sein Studium an der Wirtschaftsuniversität Wien mit semiprofessionellem Pokerspiel und hat das gleiche Problem wie viele andere Pokerspieler: Wie soll er die Geldmittel, die er gewinnt oder als Anmeldegebühren für Turniere entrichten muss, online transferieren? Normale Banken und Zahlungsdienstleister schlagen bei internationalen Transfers hoher Geldbeträge und den oft als Glückspiel eingestuften Empfängeradressen schnell Alarm.
Obskures Bitcoin
Auf der Suche nach einer Lösung stößt er auf das Bitcoin-Netzwerk, das erst zwei Jahre zuvor das Licht der Welt erblickt hat. Bitcoin-Transaktionen bedürfen keiner Genehmigung, Wallets keiner Identitätsprüfung. Zudem ist Bitcoin schnell, global und sogar pseudonym. So kann sich die Kryptowährung schnell in der Pokerszene etablieren und auch Klanschek überzeugen.
Gleichzeitig lernt er über eine Online-Poker-Community seinen späteren Mitgründer Eric Demuth kennen. Demuth studiert ebenfalls Wirtschaft in Wien, nachdem er ursprünglich Nautik studieren wollte und sogar schon zwei Jahre als Schiffsmechaniker zur See gefahren war. Gemeinsam brüten sie allabendlich über Geschäftsideen.
Die Idee
Außerhalb von Poker ist Bitcoin 2013 noch fast unbekannt. Vor allem in Europa. Auch wenn Klanschek ein viel größeres Potenzial für Bitcoin sieht, bleibt der Kauf von Bitcoin doch eine risikoreiche, aufwendige Angelegenheit. Nutzer können Bitcoin lediglich über private Foren von Privatpersonen kaufen oder müssen Geld an obskure Adressen in den USA, Osteuropa oder zur berüchtigten Krypto-Börse Mt. Gox nach Japan schicken. Spätestens an diesem Punkt steigen die meisten aus. Aus der Frustration wächst für Demuth und Klanschek die Überzeugung: Das muss einfacher gehen.
In den USA hatten bereits 2011 erst Jesse Powell Kraken, dann 2012 Brian Armstrong Coinbase aus demselben Grund gegründet. Warum also sollte man Bitcoin nicht auch ganz einfach in Europa kaufen können? Von einem vertrauenswürdigen europäischen Unternehmen? Die erste Idee ist ein einfacher Webshop.
Das Problem: Zum damaligen Zeitpunkt gibt es noch keinerlei rechtliche Klarheit über die steuerliche Erfassung eines solchen Geschäftes. Fällt Umsatzsteuer an? Müsste man also beispielsweise Bitcoin für 20% über Marktpreis anbieten, um eine Mehrwertsteuer entrichten zu können? Und fällt dieses Geschäft unter die Gewerbeaufsicht oder die Finanzmarktaufsicht? Klanschek fragt bei der Aufsicht und anderen Stellen nach, erhält aber keine Antwort. Keine Behörde will sich in die Nesseln einer eigenmächtigen Entscheidung setzen. So wartet man ab. Das Risiko, Steuerschulden zu akkumulieren, ist einfach zu groß.
Auch fehlt für das Vorhaben noch der technische Co-Founder. Auf Anfrage beim Präsidenten des Vereins Bitcoin Austria vermittelt dieser die beiden Studenten an Christian Trummer, der zu diesem Zeitpunkt schon mehrere Softwarefirmen gegründet hat und sich bereits bestens mit Bitcoin auskennt. Er willigt ein, solange er nicht in die Geschäftsleitung muss.
Von links nach rechts: Christian Trummer, Paul Klanschek, Eric Demuth
Der Startschuss ertönt
2014 kommt es Schlag auf Schlag. Erst geht Mt. Gox Pleite, die zu dem Zeitpunkt größte Bitcoin-Börse der Welt. Rund 850.000 Bitcoin, damals 340 Millionen Euro wert, gehen für Kunden und Anleger verloren. Es bewahrheitet sich, wie risikoreich unregulierte Börsen und Broker sind und wie wichtig eine vertrauenswürdige Onshore-Adresse für den Handel mit Bitcoin ist.
Wenig später folgt das EuGH Urteil: Der Umtausch von Bitcoin gegen konventionelle Währungen ist nicht mehrwertsteuerpflichtig.(2) Somit haben die Gründer zumindest hier schon Klarheit. Bleibt nur noch die Frage der Aufsicht. Durch einen aktiven Austausch mit den Regulierungsbehörden wollen die Gründer das Restrisiko minimieren.
"Von Anfang an haben wir uns entschieden, uns voll auf regulatorische Compliance zu konzentrieren, während all unsere Wettbewerber in Europa dies nicht getan haben”, sagt Klanschek. “Die konnten zwar dadurch viel schneller wachsen als wir, aber interessanterweise existiert von denen heute keiner mehr."(3)
Genau diese Philosophie - die Dinge richtig und nicht nur schnell machen - ist der Gründungskern, der die Unternehmensstrategie bis heute bestimmt.
Ende 2014 ist es dann soweit. Bitpanda, das zu dem Zeitpunkt noch “Coinimal” heißt, startet als Plattform für den Kauf und Verkauf von Bitcoin in Österreich. Am 15. Dezember 2014 teilen sie auf Facebook: «Wir sind da, kauft Bitcoin bei uns.»
Brokerage als profitables Geschäftsmodell
Sie sind nun kein Webshop mehr, sondern ein Broker. Broker fungieren als Vermittler zwischen Anlegern und den Finanzmärkten, indem sie im Auftrag von Kunden deren Kauf- und Verkaufsorders an Börsen weiterleiten. Für jede ausgeführte Order berechnet der Broker eine Kommission.
So kann Bitpanda komplett eigenfinanziert aus den laufenden Erlösen organisch wachsen. Jedes Mal, wenn die Kunden Kryptowährungen kaufen oder verkaufen, verdient Bitpanda an einer Handelsspanne. Das Geschäftsmodell ist erprobt, skalierbar und wirft schnell gute Gewinne ab. Entgegen seiner wagniskapitalfinanzierten Pendants aus den USA setzt Bitpanda ganz auf Bootstrapping.
Ein Ansatz, der die Unternehmenskultur in den ersten Jahren stark prägen wird. Hinter jeder Initiative muss ein nachhaltiger Business Case stehen. Das heißt: Nah am Kundenbedürfnis entlang entwickeln, anstatt opportunistisch kurzfristigen Hype-Themen hinterherzujagen. Aus Zweifeln an der Nützlichkeit wird man beispielsweise später ein NFT-Marktplatz-Projekt abbrechen. Auch gibt es keine Schonfrist für Projekte und Initiativen, die sich nicht schnell genug rentieren - geschweige denn Marketingbudget.
Zudem legt Bitpanda von Anfang an größten Wert auf Technologie. Ein Großteil der eigenen Infrastruktur wird inhouse gebaut oder hinzugekauft, wie beispielsweise mit der Akquisition der Custody-Lösung Trustology Anfang 2022. Das schafft Vertrauen bei den Regulatoren.
Wenige Tage nach dem Start erweitert Bitpanda sein Angebot um Litecoin. Schon im August 2015 kommt Ether dazu. Die Gründer lernen frühzeitig die Power von “Product-led Growth” kennen und investieren kontinuierlich in die bestmögliche Nutzererfahrung.
Wahrscheinlich muss auch deswegen der Name weichen. Weil es niemand schreiben kann und die Gründer sich die Möglichkeit offen halten wollen, in Zukunft auch andere Anlageklassen als Kryptowährungen anzubieten, rebrandet das junge Unternehmen 2016 von Coinimal zu Bitpanda. Das sorgt auch international für mehr Wiedererkennungswert.(4)
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Jeden Dienstag und Freitag berichten wir über die wichtigsten Entwicklungen in Krypto & Web3. Kompakt und pointiert.
Zwischen ICO und IEO
Bitpanda ist erfolgreich. Das Geschäftsmodell funktioniert und das Unternehmen wächst dynamisch - auch dank starkem Rückenwind. Legte Bitcoin 2015 im Jahresverlauf noch um vergleichsweise moderate 40% zu, verdoppelte sich der Kurs bereits im Folgejahr. Richtig verrückt wurde es dann 2017, als der Preis von knapp 800 Euro auf über 16.000 Euro in die Höhe schnellte. Knapp eine halbe Millionen Neukunden bescherte Bitpandas erster großer Bull Run dem Unternehmen in diesem Jahr.
2017 ist auch das Jahr der ICOs. Einst als alternatives Finanzierungsmodell für die Entwicklung neuer Projekte gestartet, mit dem Teams Geld in Form von Kryptowährungen durch die Herausgabe von Tokens einsammeln, anstatt Unternehmensanteile abzugeben, entwickelt sich in dieser Zeit ein wahrer Hype. Rund 800 Projekte nehmen zwischen 2017 und 2018 insgesamt mehr als 18 Milliarden Euro über Initial Coin Offerings ein. Die wenigsten sind heute noch am Markt.
Pantos - Forschen auf neuem Terrain
Auch Bitpanda wagt sich an das Thema heran. Im April 2018 sammelt das Unternehmen etwa umgerechnet 4 Millionen Euro in Kryptowährungen für das Multi-Blockchain-Projekt Pantos ein - im Tausch gegen insgesamt 415 Millionen PAN-Tokens. Hinter Pantos steckt ein Open-Source-Forschungsprojekt, das Bitpanda zusammen mit den Technischen Universitäten Wien und Hamburg, dem Christian Doppler Forschungsinstitut und der IOTA Foundation startet, um Interoperabilität zwischen verschiedenen Blockchains zu erforschen.
In den ersten Jahren werden zwar einige wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, aber produktseitig wenig Fortschritte verzeichnet. Der strategische Fokus des Mutterunternehmens liegt zunächst anderswo. Erst drei Jahre nach dem ICO erfährt das Projekt neue Aufmerksamkeit. Heute arbeitet ein dediziertes Team an der Entwicklung des Protokolls und der offizielle Launch ist nur noch wenige Monate entfernt.
BEST - Europas erfolgreichster IEO
Pantos bleibt nicht Bitpandas einziges Token-Experiment. Gut ein Jahr später, im August 2019, sammelt Bitpanda mit dem Initial Exchange Offering (IEO) seines Bitpanda Ecosystem Tokens ‘BEST’ 44 Millionen Euro ein. Es handelt sich um den bis dato erfolgreichsten IEO Europas.
BEST ist ein sogenannter Utility Token, der für ein erweitertes Treueprogramm für Bitpandas Power User eingesetzt werden kann. So profitieren BEST-Halter zum Beispiel von niedrigeren Handelsgebühren, höheren Renditen beim Staking und zusätzlichen VIP Services.
Das Modell ist beliebt und erfolgreich: Etwa zur gleichen Zeit launchen auch andere Krypto-Börsen ähnliche Utility-Tokens, darunter Binance (BNB), OKX Exchange (OKB) und Huobi (HT). Retail-Investoren werden stärker an die Handelsplattform gebunden und entwickeln sich oftmals zu Markenbotschaftern auf sozialen Medien.(5)
Außerdem soll BEST die Werbetrommel für die kurz darauf startende “Bitpanda Global Exchange” rühren. Die Börse, die wenige Monate später in Bitpanda Pro umbenannt wird, soll als europäischer und streng regulierter Handelsplatz für erfahrene Trader und Institutionen weltweit dienen (mit Ausnahme der USA und China).
Während Bitpanda mit BEST und Bitpanda Pro also seinen Fußabdruck im Kryptomarkt vergrößern möchte, wagt das Unternehmen wenige Wochen später einen wichtigen Schritt, um langfristig unabhängiger von dessen Volatilität zu werden. Im Oktober 2019 führt Bitpanda echte Edelmetalle als neue Anlageklasse ein. Bereits ab einem Euro können Kunden fortan in Edelmetalle wie Gold und Silber investieren. Für Bitpanda liefert der Launch die technische Blaupause, um später auch Investmentmöglichkeiten ab einem Euro für Aktien und ETFs einzuführen.
Damit läutet der Krypto-Broker die nächste Phase seiner Entwicklung ein. Die Konkurrenten heißen nun nicht mehr nur Coinbase und Kraken, sondern auch Robinhood und Trade Republic.
Vom Krypto-Broker zur Investment-plattform
Es soll bis Q4 2020 dauern, als dank einer einmaligen Kombination aus günstigem Geld, Corona-Lockdown-Politik mit gleichzeitigen Hilfszahlungen und dem Bitcoin Halving im Mai 2020 der Kryptomarkt einen neuen Bull Run erlebt. Innerhalb weniger Wochen schießt Bitcoin von knapp 10.000 US-Dollar auf über 60.000 US-Dollar.
FOMO macht sich breit. Unter Anlegern genauso wie unter Wagniskapitalgebern. Bewertungen und Finanzierungsrunden steigen rasant, gerade unter Fintechs. Jeder möchte dabei sein und mitinvestieren.
In dieser Phase holt sich nun auch Bitpanda die ersten Wagniskapitalgeber an Bord. Im September 2020 sammelt das Unternehmen rund 45 Millionen Euro von namhaften Investoren wie Peter Thiels Valar Ventures, Hedosophia und Speedinvest ein. Bitpanda hat zu diesem Zeitpunkt 1,3 Millionen Nutzer, rund 300 Mitarbeiter und schließt das Jahr mit einem Rekordumsatz von über 50 Millionen Euro und einem operativen Gewinn von 12 Millionen Euro ab. Starkes Wachstum bei gleichzeitigem Gewinn: Das ist selten bei einem Startup dieser Größe.
Österreichs erstes Einhorn
Das Folgejahr wird noch besser. Neue Layer-1 Blockchains, Meme-Coins und -Aktien wie GameStop treiben die Spekulation auf die Spitze. Oder anders formuliert: It’s showtime! Bitpandas höchste Priorität besteht nun darin, die Trading-Spitzen abzudecken und der Nachfrage gerecht zu werden. Es sind Tweets wie jener von Elon Musk über Dogecoin, die den Broker in dieser Phase operativ an sein Limit bringen und Bitpanda übers Wochenende Zehntausende neue Kunden bescheren.
Bitpandas Backend hält stand. Das Geschäft boomt, was sich auch in der Unternehmensbewertung niederschlägt. Im März verkündet Bitpanda eine weitere Finanzierungsrunde zu einer Bewertung von über 1 Milliarde Euro. Damit steigen sie zu Österreichs erstem Einhorn auf. Wieder führt Valar Ventures die Runde an, DST Global kommt als Investor hinzu.
Gleichzeitig vollzieht Bitpanda den Schritt zur vollumfänglichen Investment-Plattform, indem das Unternehmen im April Derivate auf Aktien und ETFs als Anlageklassen aufnimmt. Die Besonderheit: Anleger halten die Aktie nicht selbst, sondern handeln ein Derivat. Damit genießen sie zwar nur teilweise Aktionärsrechte (Anleger erhalten Dividenden, aber keine Stimmrechte), können jedoch bereits ab einem Euro investieren, und zwar rund um die Uhr.
Während also Konkurrenten wie Trade Republic, Scalable und eToro aus der traditionellen Aktienwelt heraus Krypto-Produkte in ihr Angebot aufnehmen, rollt Bitpanda den Markt von der Krypto-Seite auf. Auf einen Retail-Investment-Boom setzen sie alle.
Bitpandas Expansion in die Breite im Zeitverlauf
Hypergrowth
Jeder weitere Rekordmonat nährt die Wachstumsfantasie und den Risikoappetit. Nur fünf Monate nach der Series B schließt Bitpanda eine weitere Finanzierungsrunde ab. Dieses Mal beträgt das Volumen umgerechnet 224 Million Euro und die Bewertung knapp 3,4 Milliarden Euro. Bemerkenswert ist, dass selbst nachdem man innerhalb von elf Monaten in drei verschiedenen Finanzierungsrunden ein Volumen von über 400 Millionen Euro abgewickelt hat, die Gründer weiterhin die Mehrheit der Unternehmensanteile halten.
Die Series C leitet die Phase des Hypergrowth ein. Bitpanda hat zu diesem Zeitpunkt nach eigenen Angaben drei Millionen Nutzer und will neben DACH, Spanien, Frankreich, Italien und Polen nun auch in die U.K., sowie Zentral- und Osteuropa expandieren. Die Belegschaft wird dafür verdreifacht. Lagen die Personalkosten im Vorjahr noch bei 14 Millionen Euro, werden es 2021 schon 71,7 Millionen Euro sein. Kein Problem, schließlich bleiben Ende des Jahres bei einem Rekordumsatz von knapp 480 Millionen Euro immer noch 37,5 Millionen Euro als Jahresüberschuss hängen.
Die Blase platzt: Zurück zu den Wurzeln
Im Jahr 2022 dreht sich der Markt. Russland überrascht die Welt mit einem Überfall auf die Ukraine, der Westen erleidet einen Inflationsschock und nach langen Jahren niedriger Zinsen endet die Zeit des billigen Geldes. Es herrscht “risk-off”.
Am lautesten platzt die Blase am Kryptomarkt, wo durch die Implosion des vermeintlichen Stablecoins UST sowie mehreren Insolvenzen namhafter Unternehmen viel Kapital vernichtet wird. Mit den Kursstürzen und dem Kapitalabfluss brechen auch die Umsätze der Broker und Börsen ein. Bitpanda befindet sich wieder im Bärenmarkt und muss sich eingestehen, zu aggressiv gewachsen zu sein. Im Juni 2022 verkleinert Bitpanda die Organisation von über 1.000 Mitarbeitern auf 730. Auch das Marketing wird zurückgefahren. Jetzt, wo Geld wieder teuer ist, müssen Startups auf ihre Kosten schauen. Schließlich sind die Investoren zurückhaltend und wollen Gewinne sehen.
“Wir haben damals proaktiv gehandelt", sagt Eric Demuth damals gegenüber BTC-Echo. “Lieber ein früher, harter Schnitt statt vieler kleiner Kürzungen – das führt nur zu Verunsicherung.”(6) Rückblickend stellen die Gründer fest: “Es gab wahnsinnig viele Ineffizienzen. Senior Manager waren monatelang nur damit beschäftigt, Leute zu onboarden." Jetzt gehen sie wieder voll auf Performance und Profitabilität. Zurück zu den Wurzeln: Smartes Wachstum statt Hypergrowth.
Über Fluch und Segen des Geschäftsmodells
Am Ende schließt Bitpanda das Geschäftsjahr 2022 mit einem Verlust in Höhe von 116 Millionen Euro und einem Umsatzeinbruch um 80 Prozent auf 90 Millionen Euro ab. Bitpandas hoher operativer Leverage schlägt in die umgekehrte Richtung um. Weil dem Broker-Modell hohe Fixkosten für IT-Infrastruktur, Sicherheit und Regulatorik innewohnen, ist das Betriebsergebnis besonders stark vom Umsatz abhängig. In guten Jahren wie 2021 wachsen die Fixkosten nicht so schnell wie die Umsätze und das Unternehmen macht große Gewinne. In schlechten Jahren wie 2022 ist es anders herum.
Operating Leverage veranschaulicht
Und gerade die Fixkosten waren zuletzt durch zu aggressives Hiring und die großen Investitionen in einen neuen B2B-Geschäftszweig stark gestiegen. „Die ganze Branche hatte mit einem Rückgang des Interesses zu kämpfen, was sich auf Krypto-Plattformen und Fintechs weltweit ausgewirkt hat – auch auf Bitpanda“, kommentiert Eric Demuth die jüngsten Geschäftszahlen. In Zukunft soll der operative Hebel wieder für das Unternehmen arbeiten: “In jedem Krypto-Zyklus konsolidiert sich der Markt, und jene Unternehmen, die investieren und ihr Produkt stetig verbessern, wachsen im nächsten Zyklus um das 5- bis 10-fache.”
Wettbewerbsvorteil Regulatorik
Es wird vorerst ruhig um Bitpanda. Die Entlassungen werden abgewickelt, Teams neu strukturiert und die operativen Prozesse ausgebaut, während das globale Krypto-Handelsvolumen kontinuierlich sinkt.
Trotzdem gibt es auch Erfolge. Am 22.11.2022 erhält das Unternehmen endlich seine BaFin-Lizenz zur Verwahrung und zum Eigenhandel von Kryptowährungen – ein regulatorischer Ritterschlag und das kurz nach dem Zusammenbruch der Kryptobörse FTX. Bitpanda darf nun auch den deutschen Markt direkt bewerben. Zuvor konnte Bitpanda deutsche Kunden zwar annehmen, wenn sie von alleine auf das Unternehmen aufmerksam wurden und ein Konto eröffneten, diese aber nicht direkt ansprechen. “Reverse Solicitation” sagen die Juristen dazu.
Der Erhalt einer BaFin-Lizenz ist langwierig und sehr aufwendig. Bitpanda musste in einem anderthalbjährigen Prozess den Prüfern gegenüber das Unternehmen offenlegen und neue Standards und Prozesse nach dem KWG einführen. „Wenn die EU den Standard der BaFin hätte, dann gäbe es Probleme wie FTX nicht,“ konstatiert Demuth in Hinblick auf die geforderte Gründlichkeit.(7)
Wettbewerber Binance, der das regulatorische Vakuum lange Zeit ausnutzen konnte, hat indes seinen BaFin-Antrag mittlerweile (unfreiwillig) zurückgezogen. Zunehmend trennt sich die Spreu vom Weizen. Diejenigen, die versuchen, regulatorische Arbitrage zu betreiben, stehen denjenigen gegenüber, die frühzeitig Investition in regulatorische Compliance getätigt haben und heute davon profitieren.
Auf zu neuen Ufern: Bitpanda Technology Solutions
Mitten im Trading-Hype des Jahres 2022 erhält Bitpanda eine Nachricht von N26. Sie fragt an, ob die Neobank die Backend-Systeme von Bitpanda mitnutzen kann, um auch ihren Kunden den Handel mit Kryptowährungen anbieten zu können. Ja, darf sie. Die Teams vereinbaren eine Zusammenarbeit, aus der im Herbst 2020 Bitpandas neues B2B-Produkt hervorgehen wird.
Die Idee leuchtet ein: Warum sollten Fintechs und Banken mühevoll und kostspielig nachbauen, was Bitpanda 9 Jahre lang entwickelt hat? Das macht keinen Sinn, weil Krypto-Brokerage weder zur Kernkompetenz dieser Unternehmen zählt, noch sie sich hinreichend differenzieren können. Bitpanda wiederum kann durch diese Partnerschaften für höhere Liquidität sorgen, die bereits entwickelte Infrastruktur zusätzlich monetarisieren und erreicht Millionen neue Kunden, die teilweise außerhalb der eigenen Zielgruppe liegen. Viel Upside, wenig Downside.
Genauso für die Partner: Sie senken ihre Time-to-Market, auch weil sie keine eigenen Lizenzen beantragen müssen. Bitpanda liefert alles aus einer Hand. Das Beste: Für sie ist es ein Profit- und kein Costplay. Die Kosten werden aus dem Zusatzgeschäft heraus bezahlt.
Das Unternehmen neu aufstellen
Für Bitpanda ist es trotzdem kein Home Run: Das Unternehmen muss sich komplett neu aufstellen und Bitpanda Technology Solutions organisatorisch, technisch und personell vom Kerngeschäft trennen. Eine eigenständige rechtliche Einheit erleichtert das Reporting und externe Prüfbarkeit der Prozesse – wichtig, um regulatorische Auflagen für Banken zu erfüllen, die strategische IT auslagern (BAIT und MaRisk).
Eine neue API-Schnittstelle wird zur eigenen Backend-Infrastruktur gebaut, über die Bitpandas Geschäftskunden alle vor- und nachgelagerten Funktionen des Krypto- und Wertpapierhandels modular nutzen können: Von der Verwahrung über das Trading bis hin zu einem eigenen Frontend, das die Unternehmen ihrer eigenen Corporate Identity entsprechend anpassen können.
Die drei Zielgruppen
Auch der Vertrieb muss neu aufgebaut werden. B2B ist ein ganz anderes Spiel als B2C und verlangt deswegen nach anderen Kompetenzen. Anton Langbroek wird im Juni 2023 eigens vom Partner Mambu zu Bitpanda Technology Solutions geholt, um die kommerzielle und organisatorische Expansion zu leiten. “Die Ansprache der Kunden ist ganz anders.” Er unterscheidet 3 Kundengruppen.
Die erste sind Fintechs, Neobanken und Neobroker. Diese wollen zumeist nur Kryptowährungen und Teilaktien anbieten; wichtig ist ein schneller Go-to-Market. Da sie in der Regel schon über ein modernes API-Backend verfügen, dauern Integrationen oft nur wenige Monate. “Das ist fast schon ein Plain Vanilla Case für uns”, sagt Langbroek.
Die zweite Gruppe sind die Tier 4, 3 und 2 Banken. Sie wollen ihren Kunden das gesamte Spektrum an Anlageklassen von Bitpanda anbieten, aber können es alleine nicht. “Die haben nicht die notwendige Investmentpower, um diese Infrastruktur selbst aufzusetzen”, sagt er. Ein typischer Business Case belaufe sich auf mindestens 10 Millionen Euro Anfangsinvestition, mit hohen Folgekosten.
Die letzte Gruppe sind die großen Tier 1 Banken mit Millionen von Retail-Kunden. Hier geht es ausschließlich darum, Kryptowährungen anzubieten. “Viele Banken arbeiten daran, wollen aber noch nichts verlautbaren.” Besonders spannend sind hier vor allem Corporate Kunden, also Großunternehmen. “Wir wissen, dass viele Konzerne langfristig 2% ihres Portfolios in Krypto allokieren wollen.” Diese Unternehmen müssen höchste regulatorische Anforderungen erfüllen, also beispielsweise nachweisen, dass die Kryptowährungen von einer regulierten Gegenpartei gekauft wurden und sauber sind. Als regulierte Gegenpartei übernimmt Bitpanda Aufgaben wie die Sicherstellung der Proof of Funds, Tracking und das Market Making.
Lediglich die Verwahrung und das Frontend wollen diese Tier 1 Banken meist in Eigenregie übernehmen. Im Falle der Verwahrung, weil sich auf “Assets under Management” höhere Gebühren verlangen lassen. Das Frontend, weil es sich um einen der letzten verbliebenen Differentiatoren für Banken untereinander handelt.
Vielversprechende Traction
Mit der französischen Neobank Lydia kann Bitpanda Technology Solutions bereits im November 2021 den ersten Großkunden mit über 5,5 Millionen Kunden vermelden. Das entspricht der doppelten Anzahl an Kunden, die Bitpanda über die eigene App zu diesem Zeitpunkt erreicht. Ein früher Nachweis des Hebels, den das B2B-Geschäft für Bitpanda entfalten kann.
2023 beschleunigt sich das Wachstum für BTS. Allein im ersten Halbjahr werden 12 Partnerschaften verkündet: Darunter die Fintechs Plum (UK), Hype (Italien), die Neobank N26, Visa, das Cloud-Kernbankensystem Mambu und die Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien.
Besonders viel Beachtung erfährt die Kooperation mit Coinbase. Im Mai verkünden beide Unternehmen, dass Coinbase zukünftig auf Bitpandas Infrastruktur zurückgreifen wird, damit sie ihren institutionellen Kunden außerhalb der USA den Handel mit Kryptowährungen für ihre Endkunden ermöglichen können. Der Schlüssel für diesen Deal? Bitpandas umfangreiches regulatorisches Setup.
Ausblick: Wer übrig bleibt, gewinnt
Retail: "Dein persönlicher Vermögensverwalter"
Viel wird davon abhängen, ob und wann der nächste Bullenmarkt zurückkommen wird. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Nachfrage und das Wachstum der Krypto-Broker eine Funktion des Bitcoin Kurses ist.
Bullenmärkte sind die Treiber des Wachstums
Auf der Produktseite wird Bitpanda weiterhin daran arbeiten, das Angebot an Investmentprodukten zu erweitern und Investieren generell einfacher zu machen. Dabei verdeutlichen die drei jüngsten Produkte, worum es konkret gehen wird: den Share of Wallet vergrößern und neue Zielgruppen adressieren.
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Bitpanda Spotlight: Viele Krypto-Trader möchten neue Projekte bereits frühzeitig verfolgen und unterstützen. Bitpanda Spotlight soll sie in der Recherche unterstützen.
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Leverage: Seit April können Trader über einen sogenannten CFD mit 2-fachen Hebel auf die Entwicklung einzelner Kryptowährungen wetten. Damit steigt Bitpanda in den Krypto-Derivatemarkt ein, der in Krypto ¾ des Handelsvolumens ausmacht. Mit einem vergleichsweise geringen Hebel bleibt abzuwarten, wie viel Marktanteile man den etablierten Anbietern, die bis zu 125-fachen Leverage anbieten, abluchsen kann.
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Cash Plus: Mit der Rückkehr der höheren Zinsen haben Banken ab 2023 wieder angefangen, ihren Kunden attraktive Tagesgeldangebote zu machen, die wesentlich höhere Zinsen als die meisten herkömmlichen Girokonten abwerfen. Auch Bitpanda möchte geparkte Kundengelder möglichst auf der eigenen Plattform behalten und kontert mit einem eigenen Angebot, dieses Geld in Derivate auf Geldmarktfonds-Aktien zu veranlagen. Kunden können dadurch aktuell über 3% Rendite erzielen und dabei jederzeit liquide bleiben.
Zudem möchte Bitpanda noch in diesem Jahr mit einem weiteren Serviceangebot in die Geldanlage für vermögende Privatkunden einsteigen. Mit Fokus auf Digital Assets sollen eigene Kundenbetreuer in Konkurrenz zu Family Offices und Banken treten und das Private Wealth Management aufmischen. Ein mutiges Unterfangen, dem die These zugrunde liegen wird, dass sich das Zeitfenster für einen solchen Service bald schließen wird. Mittelfristig werden Digital Assets zum Standardrepertoire der Vermögensverwalter gehören und Kunden ihre Investmentbelange aus einer Hand managen lassen wollen.
Auch der Retail-Kundenbasis soll ein persönlicher Vermögensverwalter zur Seite gestellt werden. Allerdings in Gestalt einer Künstlichen Intelligenz. Umgerechnet knapp 9,4 Millionen Euro nimmt Bitpanda in die Hand, um einen intelligenten Vermögensverwalter zu entwickeln, der jeden Kunden individuell beim Investieren unterstützen soll. Um Anlageberatung soll es sich nicht handeln. "Es geht nicht um Kaufempfehlungen, sondern darum, Kunden umfassende und persönliche Informationen leicht zugänglich zu machen", sagt Lukas Enzersdorfer-Konrad, Bitpandas stellvertretender CEO. "So können sie informierte Anlageentscheidungen selbst treffen und diese dann über Bitpanda umsetzen."
In der Regel ist mangelndes Finanzwissen die größte Hürde für Nutzer, überhaupt finanziell aktiv zu werden. Das wissen alle Investmentanbieter, weshalb die meisten von ihnen Bildungsangebote auf ihren Plattformen haben. Mittels KI soll Finanzbildung spielerischer und persönlicher werden und der herkömmliche Retail-Trader damit ein Stückchen mehr zum professionellen Trader ausgebildet werden.
Stichwort “professioneller Trader”: Von dieser Kundengruppe hat sich Bitpanda erst im Juni mit der Ausgliederung von Bitpanda Pro, der eigenen Börse, getrennt. Nach einer Finanzierungsrunde in Höhe von umgerechnet rund 28 Millionen Euro soll sich das in One Trading umbenannte Unternehmen zu einer regulierten Alternative zu den internationalen Wettbewerbern entwickeln.
Investoren wie Peter Thiels Valar Ventures (again), Speedinvest und Wintermute Ventures glauben, dass a) der Appetit institutioneller Investoren nach Digital Assets zunehmen wird und b) nach dem Zusammenbruch von FTX und dem sukzessiven Rückzug von Binance aus einigen europäischen Ländern vor allem im Derivatemarkt relevante Marktanteile zu gewinnen sind.
Die Ausgliederung erscheint sinnvoll. Auch wenn mit Coinbase ein Wettbewerber ein vergleichbares Angebot innerhalb der Kernorganisation unterhält, verlangt eine institutionelle Börse zum Handel von Derivaten nach anderen Kompetenzen als das Broker-Geschäft.
Dessen Potenzial ist ohnehin noch lange nicht erschöpft. Vielmehr bietet die allgemeine Marktkrise für Bitpanda viel Potenzial, durch Zukäufe zu wachsen und dadurch neue Märkte zu erschließen. Die Kunst wird darin bestehen, die richtigen Übernahmekandidaten zu identifizieren und nicht den Banken vors Schienbein zu treten, denen man parallel die eigene B2B-Lösung verkaufen möchte.
B2B: Der größte Hebel zur Skalierung
Auch wenn man innerhalb des Unternehmens nicht müde wird zu betonen, dass das Retail- und B2B-Geschäft gleichermaßen wichtig sind, dürfte nach vorne geblickt die Kapelle am lautesten bei Bitpanda Technology Solutions spielen. Die Sales Pipeline ist prall gefüllt und noch in diesem Jahr sollen ein paar große Namen als Kunden präsentiert werden.
Nachdem man in den letzten 2 Jahren die Organisation aufgebaut hat, geht es jetzt um Timing und Execution. Neben dem Onboarding neuer Partner dreht sich dabei viel um die Skalierung der technischen Infrastruktur, um im nächsten Bullenmarkt auch extreme Tradingspitzen abbilden zu können. “Unser internes Ziel lautet, eine Kapazität für 250 B2B-Kunden mit 200 Millionen Endkunden aufzubauen. Derzeit ist BTS bei 50%”, schätzt Anton Langbroek. Geplant sind 200 Prozent Wachstum Year-over-Year. "Alles über 200 Prozent ist nicht gesund.”
Es ist ein Skalierungsspiel, bei dem Bitpanda einen komfortablen Vorsprung aufgebaut hat. Die nötigen Anfangsinvestitionen in Infrastruktur und Regulierung sowie die hohen Ansprüche an Technologie und Liquidität sind große Eintrittsbarrieren. Zudem bevorzugt gerade der Longtail an Banken Partner, die alle Funktionalitäten aus einer Hand liefern können, anstatt mit einzelnen modularen Anbietern für Trading und Custody zusammenzuarbeiten.
Doch die Konkurrenz schläft nicht: Bereits heute stehen Wettbewerber wie Hyphe, Börse Stuttgart Digital und DLT Finance in den Startlöchern. Wahrscheinlich ist, dass der Markt langfristig auf ein Oligopol aus 3 bis 4 Anbietern hinauslaufen wird.
Vor allem als Hebel für die europäische Expansion ist BTS spannend: In Märkten, in denen es schwieriger ist, mit dem Retail-Produkt Marktanteile zu bekommen wie z.B. in Spanien oder Osteuropa, reicht eine einzige Kooperation mit einer nationalen Tier-1 Bank, um auf einen Schlag Millionen von Endkunden zu erreichen und den Markt zu erschließen. Das spart Geld, Risiko und skaliert besser als der mühsame Markteintritt über das Retail-Angebot.
Auch eine globale Expansion steht im Raum. Im Fokus? Asien und der Mittlere Osten. Die USA bleiben vorerst uninteressant - aufgrund der großen rechtlichen und regulatorischen Unsicherheit. “Europa ist unser Kernmarkt und wird es auch für die kommenden Jahre bleiben", sagt Langbroek. “Aber wir schauen natürlich schon über den Tellerrand, in welchen anderen Regionen wir spielen können."
Wildcard Web3
Letztlich entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass eines der erfolgreichsten europäischen Krypto-Startups ein zentral organisiertes Unternehmen ist, das die erworbenen Krypto-Assets treuhänderisch für seine Kunden verwahrt. Wohnt Krypto doch eigentlich genau die umgekehrte Idee inne. Die Idee eines offenen Finanzsystems, in dem unveränderliche Smart Contracts die Regeln diktieren und Nutzer die Kontrolle über ihre eigenen Daten und Vermögenswerte übernehmen. Für das heutige Bitpanda gäbe es in dieser Welt keinen Platz.
Die gute Nachricht ist: Mit aktuell weniger als 20 Millionen weltweit aktiven Wallet-Adressen(8), läuft Bitpanda keinesfalls Gefahr, allzu schnell disruptiert zu werden. Bleiben sie trotzdem untätig, riskieren sie die Chance, am Wachstum der neuen “Onchain Economy” zu partizipieren.
Die passende Blaupause, wie der Schritt ins Web3 gelingen kann, liefert Wettbewerber Coinbase. Bereits 2016 beschreiben sie in ihrem “Secret Master Plan”(9), wie sie langfristig den Wandel von einer zentralisierten Kryptobörse hin zum Infrastrukturentwickler für Web3 bewerkstelligen wollen. Sieben Jahre später kommt nur noch rund 50% des Umsatzes aus dem klassischen Handelsgeschäft. Die andere Hälfte setzt sich zum Großteil aus dem Staking-Angebot sowie vor allem den Zinseinkünften aus der Beteiligung am US-Stablecoin USDC zusammen.
Hinzu kommt, dass der eigene Venture Arm mit über 370 Investments zu den aktivsten Krypto-Investoren überhaupt zählt und das Unternehmen kontinuierlich sein Angebot an Web3-Infrastruktur erweitert. Dass sie es wirklich ernst meinen, haben sie zuletzt mit dem Launch ihrer eigenen Blockchain Base unterstrichen. Als Layer-2 soll sie Ethereum dabei helfen, mehr Transaktionen zu geringeren Kosten abwickeln zu können und ein reichhaltiges Ökosystem aus dezentralen Anwendungen auszubilden.
Sich Binance und Coinbase zum Vorbild nehmen und eine eigene Blockchain zu launchen, wäre für Bitpanda der falsche erste Schritt. Sehr viel sinnvoller wäre es, ein eigenes non-custodial Wallet zu entwickeln, mit dem Bitpandas Nutzer Zugang zu dezentralen Protokollen erhalten und ihre eigenen Vermögenswerte verwahren können. Denn wer den Kundenzugang kontrolliert, sollte auch im dezentralen Web überproportional von der Wertschöpfung profitieren.
Ein ganz anderes Einfallstor in die Welt des Web3 bietet das bereits angesprochene Pantos Protokoll. Nachdem es kurz nach Pantos’ ICO im Jahr 2018 zunächst sehr ruhig um das Forschungsprojekt wurde, nahm die Entwicklung rund drei Jahre später gehörig Fahrt auf. Vorausgegangen war ein sprunghafter Anstieg an Nutzeraktivität auf Ethereum, der erneut die grundsätzlichen Skalierungsherausforderungen offen legte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, dass es nicht die eine Blockchain geben würde, sondern dass in Zukunft dutzende, möglicherweise sogar hunderte Blockchains koexistieren würden.
Die Vorteile von Blockchains werden allerdings nur dann richtig zum Tragen kommen können, wenn die unterschiedlichen Chains auch miteinander kommunizieren können. Doch genau diese Interoperabilität zählt nach wie vor zu den größten Herausforderungen der Krypto-Industrie. Allein im vergangenen Jahr waren über zwei Milliarden Euro an Krypto-Assets bei unzähligen Bridge Exploits verloren gegangen.
Das Pantos-Protokoll wählt deswegen einen etwas anderen Design-Ansatz. Im Unterschied zu den meisten Bridges, die den Transfer von Tokens zwischen verschiedenen Blockchains abwickeln, indem sie diese auf Blockchain A in ihrem Smart Contract wegsperren und auf Blockchain B in synthetischer Form wieder herausgeben ("Lock-and-Mint"), setzt Pantos auf einen "Burn-and-Mint-Ansatz”, bei dem ein Token auf Blockchain A verbrannt wird, um auf Blockchain B nativ neu gemintet werden zu können.
Dafür haben sie einen eigenen Token-Standard entwickelt, den Pantos Digital Asset Standard (PANDAS). Die Idee dahinter: Innerhalb weniger Minuten und unter Wahrung der regulatorischen Anforderungen sollen Entwickler eigene Tokens launchen können, die flexibel entlang mehrerer Blockchain-Ökosysteme transferiert werden können.
Soweit zu den technischen Details, aber welcher Business Case steckt dahinter? Am wahrscheinlichsten scheint es, dass Pantos zu einem weiteren Modul innerhalb der B2B-Plattform reifen wird, mit dem Banken eigene Stablecoins oder Deposit Tokens und Unternehmen eigene Utility Tokens, z.B. für Treueprogramme, lancieren können.
Für Unternehmen böten sich zwei Vorteile: Einerseits ließen sich die eigenen regulatorischen Kosten minimieren. Andererseits ließen sich die neuen Tokens über Bitpanda Spotlight direkt an Bitpandas Kundenbasis vermarkten. Man stelle sich beispielsweise einen Red Bull Coin vor, der spezielle Vergünstigungen und exklusiven Zugang gewährt. Red Bull hätte Zugang zu Millionen von krypto-affinen Nutzern, während gleichzeitig Red Bulls Konsumenten eine Motivation hätten, sich bei Bitpanda anzumelden. Eine Win-Win-Situation.
In der ersten Jahreshälfte des kommenden Jahres soll das Pantos Protokoll offiziell an den Start gehen und mit der Zeit kontinuierlich dezentralisiert werden. Ein Ansatz, der innerhalb des Unternehmens ja vielleicht Schule machen wird.
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Also, wohin steuert das Unternehmen? Das Fundament ist gelegt, jetzt geht es um Execution und die notwendige Portion Glück. Denn geht die B2B-Strategie auf, wird ein Großteil des europäischen Krypto-Handelsvolumens über Bitpandas Bücher laufen. Als Europas wichtigster Krypto-Broker hätten sie es dann geschafft, das von Thiel beschriebene “vertikal integrierte komplexe Monopol” aufzubauen. Der Kaiser säße wieder in Wien.
Das größte Risiko bleibt ein dauerhaft anhaltender Kryptowinter. Solange die Umsätze hinter den Erwartungen zurückbleiben, arbeitet der operative Hebel gegen Bitpanda. Weil das Unternehmen aber auf genügend Reserven aus den Boom-Jahren sitzt, ist Bitpanda gut gewappnet, um auch eine lange Konsolidierungsphase klug für sich nutzen zu können und umso stärker daraus hervorzugehen, wenn der Markt wieder anzieht. Gründer Demuth fasst es zusammen: “Wer übrig bleibt, gewinnt.”
GESCHRIEBEN VON
Maximilian Vargas
Gründer von Blockstories
Marian Walter
Co-Autor
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Fußnoten
(1) Competition is for Losers with Peter Thiel”, Stanford University, Y Combinator, 2014; YouTube (abgerufen am 01. November 2023)
(2) Urteil des Gerichtshofs vom 22. Oktober 2015; Gerichtshof der Europäischen Union; Erläuterung durch Legal Tribune Online (beide abgerufen am 01. November 2023)
(3) Im Interview mit CoinDesk (abgerufen am 01. November 2023)
(4) Im BTC-ECHO Experts Podcast, 22. November 2022, ab Minute 25:54 (abgerufen am 01. November 2023)
(5) Siehe dazu auch: “Was ist der Unterschied zwischen BEST und anderen Exchange-Token?” Bitpanda Blog (abgerufen am 01. November 2023)
(6) Im BTC-ECHO Experts Podcast, 22. November 2022, ab Minute 28:02 (abgerufen am 01. November 2023)
(7) Im FinanceFWD Podcast #161, 23. November 2022, (abgerufen am 01. November 2023)
(8) "State of Crypto 2023", Report von a16z crypto, Folie 44
(9) "The Coinbase Secret Master Plan" von CEO Brian Armstrong, Coinbase Blog, (abgerufen am 01. November 2023)